Wer den Umgang mit der KI nicht lernt, verliert 

München, 27. Oktober 2023 – Künstliche Intelligenz (KI) werde nicht zu einem Kampf zwischen Menschen und Maschinen führen. Es werde vielmehr ein Kampf zwischen Menschen sein, die die Maschinen nutzten, und denjenigen, die diese Maschinen nicht nutzten. Maschinen heißt in diesem Zusammenhang die Nutzung der verschiedenen Tools der KI. Diesem Keynote-Statement von Dr. Wieland Holfelder haben sich alle Expert:innen beim KI-Gipfel der MEDIENTAGE MÜNCHEN angeschlossen. Zunächst berichtete Holfelder, Vice President Engineering & Site Lead bei Google, darüber, in welchem Umfang sein Unternehmen bereits seit vielen Jahren Lösungen der generativen KI entwickle und marktfähig mache. „Der Hype um KI, den wir momentan erleben, geht darauf zurück, dass mit ChatGPT und anderen Anwendungen diese generative KI nun allen Nutzer:innen zur Verfügung steht. Wir können nun Inhalte generieren, die zutiefst menschliche Eigenschaften haben.“ Im Zusammenwirken mit der bekannten analytischen KI könne Technik heute alle Bereiche des menschlichen Gehirns abbilden, erklärte Holfelder. Und weiter: „In den nächsten Jahren kann KI etwa 330 Milliarden Euro zur Bruttowertschöpfung in Deutschland beitragen, wenn nur fünfzig Prozent der Unternehmen KI nutzen.“ Der Google-Manager trat Befürchtungen entgegen, dass KI eine Vielzahl von Arbeitsplätzen überflüssig machen könnte. Die KI werde eher neue Arbeitsplätze schaffen, die jedoch einen anderen Charakter haben würden. Es werde beispielsweise einen großen Bedarf an Datenschutz- und Sicherheits-Expert:innen beziehungsweise Berater:innen für die Implementierung von KI in Unternehmen geben, prognostizierte Holfelder. Google verfolge die Mission, alle Bereiche der Wirtschaft, Dienstleistungs- oder Medienbetriebe dabei zu unterstützen, die Transformation in die digitalisierte und datafizierte Welt erfolgreich vollziehen zu können. Hierbei könnten unter anderem Google-Produkte zur Archivierung von Content beitragen, aber auch Lösungen zur Monetarisierung von Geschäftsideen.

Prof. Dr. Yasmin Weiß von der Technischen Hochschule Nürnberg erklärte im anschließenden Interview, dass KI derzeit täglich für Disruptionen im Alltag von Beschäftigten aller Branchen führen könnte. „Ja, KI wird Menschen ersetzen. Sie wird aber nur diejenigen Menschen ersetzen, die nicht bereit sind, Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft anzunehmen und sie als Chance zu begreifen. Nicht-Anpassungswillige werden tatsächlich ihre Jobs verlieren“, prophezeite Weiß. Menschen in allen Teilen der Arbeitswelt stünden nun vor der Aufgabe, das Lernen neu zu lernen und damit ein neues Mindset zu entwickeln: Ein Vogel, der auf einem Ast sitze, habe deshalb keine Angst davor, dass dieser Ast abbricht, weil er wisse, dass er fliegen könne. Übertragen bedeute dies, dass die Menschen die Disruptionen durch KI bestehen würden. Sie müssten die Technik zwar nicht im Detail verstehen, aber bereit sein, diese Technik verstehen und beherrschen zu lernen.

„In künftigen Stellenanzeigen müssten also Menschen beschrieben werden, die Veränderung gestalten wollen. Wir sollten nicht diejenigen suchen, die die besten Abschlüsse haben“, sagte Weiß. Veränderungen durch KI-Anwendungen müssten durch eine transparente Prozess- und Ergebniskommunikation begleitet werden. Führungskräfte sollten Leitplanken beim Einsatz der KI im Unternehmen gemeinsam mit den Mitarbeiter:innen erarbeiten und durch diese Art der Partizipation Berührungsängste abbauen und kreative Potenziale freisetzen. Yasmin Weiß ermutigte den Sektor Bildung und Lehre, Wissensvermittlung auf KI aufzubauen. Das würde bedeuten, dass Studierende beispielsweise selbst erleben, wie sie Aufgaben mit und ohne Einsatz von KI lösen könnten.

Schließlich berichtete Leonie Engel von ElevenLabs, welche Einsatzmöglichkeiten sich für KI-gestützte Text-to-Speach-Applikationen ergeben könnten. Ihr Unternehmen, das 2022 gegründet wurde, beschäftige sich vor allem mit der Synchronisation von Medieninhalten in verschiedene Sprachversionen – inklusive des synthetischen Klonens von Stimmen. Trotz potenzieller Gefahren, die sich aus dem Klonen ergeben könnten, sollten diese Tools frei und öffentlich zugänglich sein, forderte Engel: „Ich denke, dass die Chancen, die in solchen KI-Anwendungen stecken, deutlich größer sind als die Gefahren. Die Überwindung von Sprachbarrieren und eine Unterstützung der kreativen Arbeit der Medienbranche sehe ich als unschätzbaren Benefit dieser Technologie – Wissen kann damit für deutlich mehr Menschen innerhalb kürzester Zeit verfügbar gemacht werden.“ Sie selbst stelle sich jedoch auch die Frage, inwieweit durch das Klonen von Stimmen persönliche Eigenschaften und das Selbstwertgefühl von Menschen tangiert würden, zeigte sich Leonie Engel nachdenklich. Möglicherweise müsse man sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass eine Stimme kein persönliches Eigentum mehr sei, sondern in der KI aufgehe. Gleichzeitig resümierte sie, dass KI in den nächsten Jahren wohl viele Aufgabenfelder erschließen werde, es gebe aber auch Bereiche, in die KI nicht vordringe. So bleibe etwa eine Schwachstelle von KI, dass sie im Bereich der Sprachgenerierung nur wenig Raum für die Emotionalisierung des Gesagten biete. Vielleicht werde das für lange Zeit der gravierendste Unterschied zur menschlichen Stimme bleiben. 

Grüne KI-Schachtel beherrscht die Kunst des Schreibens

Seit November 2022 hat Anic T. Wae eine eigene Printkolumne mit dem Titel „Intelligenzbestie“ in der tageszeitung (taz). Das Besondere an Anic T. Wae: Anic ist die/der erste deutschsprachige Kolumnist:in, die/der kein Mensch ist, sondern eine Künstliche Intelligenz (KI). Im Rahmen der MEDIENTAGE MÜNCHEN haben Anics Mitentwickler Dr. Theresa Körner und Robert Salzer Einblicke in Anics Produktion der Kolumnen sowie die bisherigen Erfahrungen im Umgang mit KI gegeben.

Theresa Körner ist Social Media Managerin & Dozentin der Hochschulen Ansbach und Kufstein sowie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Robert Salzer ist Entwickler Interactive Storytelling beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF sowie Mitglied der Turing Agency, einem Kompetenzzentrum für künstlerische Auseinandersetzungen im Feld menschlich werdender Maschinen (und maschinell handelnder Menschen). Anic, die/der sich selbst als „geschlechtsbinäre, übergroße, leuchtend grüne Schachtel mit einem einzigen, riesigen Auge in der Mitte“ beschreibt und laut eigener Einschätzung „die Kunst des Schreibens beherrscht“, hatte bereits vor dem Durchbruch der ChatGPT-KI das Licht der Welt erblickt. „Unterstützt“ wird Anic dabei von einem rund fünfköpfigen Team, bestehend aus IT-Entwickler:innen, Journalist:innen und Medienschaffenden – „einem bunten Haufen“, wie Theresa Körner erklärte.

Bislang sind zwölf Kolumnen erschienen, darunter „Die Zukunft gehört den Maschinen“, „Voll auf Liebe programmiert“, „Löwe oder Wildschwein in Berlin“ oder auch „Wie plane ich eine Revolution“. Allesamt wurden sie von einem Machine-Learning-System erstellt – und dann exakt so veröffentlicht. Zum Einsatz kamen dabei unterschiedliche KI-Plattformen wie beispielsweise ChatGPT (in den verschiedenen Entwicklungsstufen) und zunehmend Open Assistant. „Unser Anspruch ist, weg von kommerziellen Systemen und hin zu offenen Systemen zu kommen“, berichtete Robert Salzer. Zu Beginn jeder Kolumne wird Anic dabei mit Wörtern gefüttert, daraufhin erstellt Anic Texte, die vom gesamten Team gegengelesen werden. „Wir verändern die Texte nicht“, erklärte Kaiser. Der aus Sicht des Teams beste Text geht dann an die taz. Von Leser:innen-Seite sei Anic überwiegend positiv aufgenommen worden, erklärte Körner. „Die Kolumne ist fake. Ich prompte selber, und es kommen nie so gute Texte heraus“, hieß es laut Körner sogar in einem Leserbrief. Die Empfehlung der beiden KI-Coaches: Es empfehle sich, das KI-Modell mit ungewöhnlichen Wörtern und Sprache aus der Reserve zu locken und so zu Höchstleistungen anzuspornen. Beim Kuratieren wiederum würden das Mehr-Augen-Prinzip gegen Tunnelblick helfen und ganz wichtig: Wenn es mal nicht laufe, einfach Pause machen… (MTM-PD/IIM)