Auswirkungen von KI auf Medien

Wien, 17. Oktober 2023 – Wie verändert künstliche Intelligenz (KI) den Journalismus, welche Chancen und Gefahren sind damit verbunden und wie müssen sich die Medienunternehmen für die Zukunft rüsten? Das waren nur einige der Fragen, auf die renommierte Medienfachleute heute bei einem Parlamentarischen Forum Antworten suchten. Die Medien seien die vierte Gewalt im Staat, weshalb die Auswirkungen von KI einen zentralen und wichtigen Faktor für die Demokratie darstellen würden, betonte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka bei der Eröffnung des Parlamentarischen Forums: “Debatte mit Expert:innen über Auswirkungen von künstlicher Intelligenz auf Medien und Journalismus”, heute, Dienstag, im Parlament in Wien. Das österreichische Parlament will mit Veranstaltungen wie der heutigen zur Diskussion über die sich vor allem in den letzten Monaten rasant entwickelnden Technologien beitragen.

Die eingeladenen internationalen Expert:innen, darunter Charlie Beckett von der London School of Economics and Political Science, Uli Köppen vom Bayerischen Rundfunk sowie Clemens Pig von der APA betonten, dass es darum gehe, KI in bestmöglicher Weise zu verwenden und die Risiken zu minimieren. Laut Beckett kann es durch den Einsatz von KI zu massiven Effizienzsteigerungen in der journalistischen Arbeit kommen, es bestehe jedoch die Gefahr, dass etwa neue Alternativen zum Journalismus geschaffen werden. Das Negieren von KI bedeute jedoch die größte Bedrohung für Medienunternehmen.

Köppen vermittelte in ihrem Referat einen interessanten Einblick, wie KI-Instrumente in der täglichen Arbeit eines News-Rooms bereits eingesetzt werden, und zwar von der investigativen Recherche bis zur Herstellung von automatisierten journalistischen Produkten. Politik, Medien sowie alle “Verwahrer des digitalen Kulturschatzes” müssten nun aber zusammenarbeiten, um europäische Sprachmodelle auf die Beine zu stellen. Noch gebe es eine Chance, um Produkte zu entwickeln, die konkurrenzfähig gegenüber jenen seien, die aus den USA und China kommen.

Über die zukünftige Rolle der Nachrichtenagenturen im Spannungsfeld von KI und Journalismus referierte APA-Geschäftsführer Clemens Pig. Es müsse den Medien gelingen, die Technologierevolution, die aus seiner Sicht eine “Jahrhundertchance” darstelle, nicht vorbeiziehen zu lassen. Es brauche zudem einen Zusammenschluss von Qualitätsmedien, denn Journalismus sei wichtiger denn je.

Zu den durch die Digitalisierung und Social Media ausgelösten vielfältigen Veränderungen für Journalist:innen sei in den letzten zwölf Monaten noch das rasche Voranschreiten von KI hinzugekommen, hielt Charlie Beckett, Professor an der London School of Economics and Political Science in seiner Keynote fest. So habe das Programm ChatGPT “die Welt von Grund auf verändert”. Jeder und jede könne nun generative KI verwenden. Die Ergebnisse seiner Forschungsprojekte hätten gezeigt, dass ein Großteil der Medienunternehmen bereits mit generativer KI “experimentiere”, diese künftig verstärkt einsetzen wolle, jedoch noch unsicher im Umgang damit sei. Die meisten Journalist:innen würden sowohl Chancen als auch Risiken der Technologie erkennen. Aktuell komme KI etwa bei Zusammenfassungen von Texten oder für das Zusammenstellen und die Analyse großer Datensätze zum Einsatz, so Beckett.

Was die positiven Auswirkungen betrifft, ortet der Experte “massive Effizienzsteigerungen” von bis zu 80 Prozent. Zudem komme es zur Einführung neuer Produkte und Dienstleistungen für das Publikum, wie etwa Chatbots, sowie zu neuen Möglichkeiten zur Bekämpfung von Propaganda und Desinformation. Als wesentliche Gefahren nannte Beckett, dass generative KI etwa neue Alternativen zum Journalismus schaffe und so dessen Qualität bedrohe. Algorithmen könnten außerdem diskriminierend oder desinformativ wirken. Obwohl das Risiko bestehe, von den Technologien der großen Tech-Unternehmen abhängig zu werden, sei das Negieren von KI aber die größte Bedrohung für Medienunternehmen. KI-Programme könnten aber die menschliche Komponente nicht imitieren, weshalb diese in Zukunft noch wichtiger werde, unterstrich Charlie Beckett.

Uli Köppen vom Bayerischen Rundfunk stellte die Frage, wie Journalismus trotz und mit KI unabhängig bleiben kann, in den Fokus ihres Vortrags. Die Themen KI und Automatisierung seien schon seit längerem im Medienbereich angekommen, zumal die Journalist:innen schon seit Jahren – und nicht erst mit dem Auftauchen von ChatGPT- algorithmische Systeme benutzen würden. Diese reichten von der Recherche, der Produktion bis hin zur Verteilung des Contents. Man verliere derzeit leicht den Überblick, da quasi jede Woche neue Tools auf den Markt kommen würden. Die Leiterin des AI und Automation Lab beim Bayerischen Rundfunk kam zunächst auf die damit verbundenen Chancen zu sprechen und berichtete über den Einsatz der KI-Instrumente etwa im investigativen Bereich oder bei der Herstellung von automatisierten journalistischen Produkten. So habe ihr interdisziplinäres Team zum Beispiel mit einem Facebook-eigenen Algorithmus feststellen können, dass sehr viel Hate-Speech auf der Plattform nicht entfernt werde.

Köppen bezeichnete es als wichtige Aufgabe der Medien, darüber aufzuklären, wo Algorithmen eingesetzt werden und wie sie benutzt werden. Dazu brauche es aber auch ausreichend Ressourcen, über die die Medienhäuser derzeit nicht verfügen würden. Köppen machte sich daher für die Einrichtung eines Fonds für journalistische Infrastruktur stark. Nur wenn dies entsprechend gefördert werde, könne vor allem technisch versiertes Personal rekrutiert werden. Auch die Parlamente sowie die europäische Gesetzgebung seien gefordert, damit Journalist:innen ausreichend Einblick in die Programme erhalten. Dies sei Voraussetzung dafür, um die sogenannte Wächterfunktion wahrnehmen zu können. Köppen warnte zugleich davor, Sprachmodelle, auf denen Tools wie ChatGPT basieren, nur als Werkzeuge zu betrachten. Da in solche Systeme immer auch Wertvorstellungen einfließen würden, müssten Politik, Medien sowie alle “Verwahrer des digitalen Kulturschatzes” zusammenarbeiten, um eigene europäische Sprachmodelle auf die Beine zu stellen. Noch gebe es eine Chance, um Produkte zu entwickeln, die konkurrenzfähig gegenüber jenen seien, die aus den USA und China kommen, war sie überzeugt.

Aus Sicht von Clemens Pig, geschäftsführender Vorstand der Austria Presse Agentur (APA), gebe es keinen besseren Platz als das Parlament, um über die Auswirkungen von KI auf Medien und Journalismus zu reden. Von den weltweit 140 Nachrichtenagenturen seien nur 20 staatlich unabhängig, stellte er einleitend fest. Dieser Umstand sei sehr wichtig, da ein “hochgradiger” Teil des täglichen Medienkonsums auf dem Material von Nachrichtenagenturen basiere. Es finde zudem ein Kampf “um die Lufthoheit” statt, und zwar zwischen den unabhängigen Agenturen des Westens und der östlichen Hemisphäre. Vor allem die vergangenen drei Jahre seien nicht nur für die Politik und die Gesellschaft, sondern auch für die Medienunternehmen eine sehr schwierige Zeit gewesen. Gekennzeichnet war sie unter anderem durch eine massive Zunahme an Verschwörungstheorien und Desinformationen, und zwar in einem Ausmaß, das man bisher nur aus Amerika kannte. Damit einhergehend kam es zum Aufkommen des Begriffs “Lügenpresse”. In der Folge konnten etwa APA-Redakteur:innen nicht mehr ungeschützt von den sogenannten Anti-Corona-Demonstrationen berichten, gab er zu bedenken. Aber nicht nur die Medien würden stark unter Druck stehen, sondern auch die Politik und die Wissenschaft, urteilte Pig, der auch Autor des vor kurzem erschienenen Buches “Democracy Dies in Darkness” ist.

Auch wenn sich die APA schon seit längerer Zeit mit dem Thema künstliche Intelligenz auseinandergesetzt habe, habe das, was jetzt an Tools zur Verfügung stehe, eine völlig andere Dimension, konstatierte Pig. Ihn treibe vor allem die Frage um, was vor dem Hintergrund bereits bestehender Filterblasen, Verschwörungstheorien, Desinformation in Kombination mit neuen AI-Technologien passiere. In Gefahr sei eine unabhängige Berichterstattung vor allem in autokratischen und diktatorischen Systemen, aber es müsse überall genau hingeschaut werden. Zudem sei die wirtschaftliche Situation für Medienunternehmen derzeit “ausnehmend schwierig”, da die Werbegelder immer mehr zu den “Digitalgiganten” wandern und die Produktionskosten steigen würden. Gleichzeitig sei man gefordert, mit ausreichend Personal ausgestattete Fact-Checking-Ressorts aufzubauen, um Desinformationskampagnen zu begegnen. Was den konkreten Einsatz von generativer Artificial Intelligence betrifft, so sei dieser “weder zu verteufeln, noch zu glorifizieren”, meinte Pig. Für die Medien sei seiner Meinung nach damit eine “Jahrhundertchance” verbunden, die genutzt werden sollte, war er überzeugt. Man müsse vor allem darauf achten, dass die kommerzielle Verwertung der von den Medienunternehmen teuer erstellten Inhalten nicht wieder woanders erfolge. Der wertvollste Rohstoff seien dabei die Journalist:innen, die zunehmend auch in neuen Berufsfeldern tätig sein werden. Es könne auch nicht sein, dass die Archive an die großen Hersteller “verscherbelt” werden, warnte er, leider würden die ersten schon damit beginnen. Von zentraler Bedeutung sei auch die Kooperation zwischen den Medienunternehmen, wie etwa im Rahmen der “Trusted European Media Data Spaces”. Damit werde unter Beteiligung der APA ein wichtiger Beitrag zur Schaffung der Datenbahnen der europäischen Informations- und Kommunikationszukunft geleistet.

Bei der im Anschluss stattfindenden Diskussion, die vom Leiter der ORF-Wissenschaftsredaktion Günther Mayr moderiert wurde, wurde noch einmal die Bedeutung der medienübergreifenden Zusammenarbeit, des Ausbaus der Medienkompetenz, des Regelungsbedarfs auf europäischer Ebene (Stichwort AI-Act) sowie der Förderung der technologischen Kenntnisse hervorgehoben.

Charlie Beckett stimmte zu, dass es keinen Anlass gebe, in Panik zu geraten, aber Wachsamkeit vonnöten sei. Interessant sei die Tatsache, dass trotz der rasanten technologischen Entwicklungen das Mediensystem in Europa ziemlich resilient sei. In Zukunft werden aber sicher neue kreative Möglichkeiten entstehen, um Geschichten zu erzählen.

Jene Medienunternehmen, die ihre “Daten gut im Griff haben”, werden in Zukunft einen unschätzbaren Vorteil haben, argumentierte Uli Köppen. Überdies hielt sie es für wichtig, den Medienunterricht an den Schulen auszubauen, da sich die Konsumgewohnheiten der jüngeren Generation massiv geändert hätten. Viele Kinder und Jugendliche wüssten beispielsweise nicht mehr, dass es ein Tageszeitungs-Abo gebe.

Es werde zu Veränderungen des journalistischen Berufsbildes kommen, räumte Pig ein. Die Aufgabe der Auswahl der rund 500 Meldungen, die aus der APA täglich rausgehen, aus den insgesamt 20.000 Eingangsmeldungen, werde aber immer von Menschen übernommen werden müssen. Gleichzeitig sollte angesichts des Vorwurfs “Lügenpresse” noch besser vermittelt werden, wie Nachrichten entstehen und Fehler transparent gemacht werden. (PK/IIM)