Polens Fernsehchef gefeuert

VON Dr. REINHARDT BADEGRUBER

Warschau/Wien, 27. September 2022 – Am 5. September 2022 gab es für Jacek Kurski ein böses Erwachen. Der mächtige Präsident des polnischen Staatsfernsehens TVP wurde vom Nationalen Medienrat gefeuert. Hinter dieser Entscheidung steht der Vorsitzende der Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit), Jarosław Kaczyński, höchstpersönlich. Kurski war der grauen Eminenz zu eigenmächtig geworden, denn der  Fernsehchef förderte ihm genehme Parteigänger und bremste potentielle Gegner aus. 

Mit seiner eigenwilligen Personalpolitik schuf sich Kurski schon seit langem starke Feinde in der Regierungspartei. Diese warfen dem Fernsehchef vor, gemeinsame Sache mit Zbigniew Ziobro (Chef der Partei „Solidarna Polska“ und „kleiner“ Koalitionspartner in der Vereinigten Rechtspartei) und Beata Szydło (nationalkatholische Regierungschefin  von 2015-2017; z.Z. EU-Abgeordnete) zu machen und beständig an der Demontage von Premier Mateusz Morawecki und Staatspräsident Andrzej Duda zu arbeiten. Kurskis Kritiker unterstellten dem TV-Boss sogar, selbst das Amt des Regierungschefs anzustreben. Kurskis eitler Selbstüberschätzung und dem damit verbundenen Realitätsverlust war es wohl auch geschuldet, dass der „Medienkaiser“ seine Gegner unterschätzte. Daher traf ihn seine Absetzung wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Selbstbewusst ließ er allerdings über Twitter verlauten: „Ich bestätige, dass ich aufgrund der Entscheidung meiner politischen Freunde, die im Einklang mit mir getroffen wurde, nicht mehr der Vorsitzende von TVP bin. Auf mich wartet eine Reihe neuer Aufgaben.“ (Gazeta Wyborcza, 10.-11.09.2022)

Kurski scheint nicht wahrgenommen zu haben, wie sehr er andere Menschen verletzt, indem er sie einfach ignoriert hatte. So etwa die Mitglieder des Nationalen  Medienrates, Krzysztof Czabański und Joanna Lichocka, deren Einwände er selbstherrlich überging, weil er gewohnt war, Lösungen auf dem direkten Weg mit Parteichef Jarosław Kaczyński herbeizuführen. 

Kurskis Strategie des kurzen Entscheidungswegs – so wird vermutet – sah selbstherrlich vor, gleichsam als Zwischenstation auf dem Weg zur Regierungsspitze, den Job als Vizepremier anzustreben. Mit der Umsetzung dieses Plans sollte noch während der Parlamentswahl 2023 begonnen werden. Als gewählten Abgeordneten, so seine Annahme, würde ihn die Immunität vor Angriffen schützen: Eine Absicherungsmaßnahme, falls er den Posten als Fernsehchef verlieren und sich  jemand für die Finanzen des TVP interessieren sollte. Allerdings wollte er seinen „über alles geliebten“ Posten als TV-Chef erst kurz vor den Wahlen räumen, weil ihm die tägliche Bildschirmpräsenz effiziente Eigenpromotion ermöglichte. Nun aber machte ihm Parteichef Kaczyński einen Strich durch die Rechnung. Denn, so der Vorwurf, Kurski stellte sich zu offensichtlich auf die Seite des kleinen Koalitionspartners „Solidarna Polska“ und führte einen Schattenkrieg gegen Premier Mateusz Morawiecki.  Das schade der PiS. Kaczyński stand nun vor der Wahl: Entweder stellte er sich vor Morawecki oder vor Kurski. Er feuerte Kurski. Dieser war überrascht. Einstweilen hätten bei Kurski schon längst die Alarmglocken schrillen müssen, denn schon im Zuge der Parlamentswahlen 2019 kam es zu Spannungen zwischen ihm und den PiS-Vorsitzenden. Damals hatte Kurski eigenmächtig den „Solidarna Polska“-Parteigänger Paweł Gajewski zum Chef der Wahlberichtserstattung gemacht, der seine Position prompt dafür nützte, den Solidarna-Kandidaten werbeträchtige Auftritte zu ermöglichen und die Präsenz des PiS-Favoriten Morawecki zu beschränken.  Zum Missfallen der PiS errang die Solidarna Polska denn auch 19 Mandate, obwohl deren Kandidaten von vorerst aussichtslosen Plätzen an den Start gingen. Das empörteKaczyński, dem nicht daran gelegen war, den Koalitionspartner Ziobro zu stark werden zu lassen.

Die Beseitigung des Gespanns Kurski-Gajewski lag ebenfalls im Interesse von Staatspräsident Andrzej Duda, der sich vom Polnischen Fernsehen seit langem schlecht behandelt und erniedrigt fühlte: Kurski hatte zuvor Dudas Vertraute, Marzena Paczuszka, die dessen Interessen im Staatsfernsehen vertreten sollte, gefeuert. Überdies kommt die Schwächung der Ziobro-Gruppe der Intention der PiS entgegen, sich mehr in Richtung „gemäßigter Rechtspartei“ zu bewegen. Dadurch soll die Partei auch für Wähler*innen des Zentrums attraktiv werden. Dieser Drift in die rechte Mitte würde, so das Kalkül, auch Morawecki nützen. „Zudem brachte das Kurski-TV auch eingefleischte Anhänger der PiS auf, weil das brutale und primitive Programm Gesellschaftsschichten abstieß, die nicht nur der deklarierten Anhängerschaft der Opposition zuzuzählen sind.“ (Wochenmagazin „Polityka“, Nr.38, 14.09.22). Entsprechend kühl und knapp wurde die Absetzung Kurskis als letzte Meldung der Fernsehnachrichten vom 5.9. gebracht. Der bis dato mächtige Zampano durfte sich nicht einmal persönlich verabschieden. An seine Stelle wurde (die Intrige lässt grüßen!) sein junger, einstiger Zögling Mateusz Matyszkowicz gehievt. Dieser beeilte sich ein äußeres Zeichen der Beendigung des Kurski-Kults zu setzen, indem er eines der Prestigeprojekt seines Vorgängers unterband. Er ließ das propagandistisch groß angekündigte Wumm-Wumm-Volkspop- „Disco-Polo“-Konzert, anlässlich der Eröffnung des Mierzeja Wiślana-Kanals1), abblasen. Davon abgesehen wird von Matyszkowicz  erwartet, dass er im Wesentlichen den PiS-freundlichen Kurs Kurskis fortsetzen werde, ohne jedoch eigene politische Ambitionen zu verfolgen. Stabilität und Verlässlichkeit sind für Jarosław Kaczyński enorm wichtig, denn sein wankelmütiges PR-Genie Jacek Kurski war ihm offensichtlich von Anfang an nicht ganz geheuer. Kurski wechselte, um der politischen Karriere willen, mehrmals die Partei, errang aber 2004 mit der EU-feindlichen Kampagne seiner „Liga Polskich Rodzin“ (Liga der Polnischen Familien) im Europa-Wahlkampf beachtliche 16 Prozent. Angeblich soll damals Kaczyński das politische Talent Kurskis erkannt haben, was zum Entschluss führte: Es lohne sich, diesen Mann zu sich ins Boot zu holen. Kurski bedankte sich für das Vertrauen, indem er im Wahljahr 2005 den Chef der gegnerischen Partei, PO (Bürgerplattform), Donald Tusk, als Mann „mit dem Großvater in der deutschen Wehrmacht“ denunzierte. Dieser populistischen, antideutschen Propagandalinie blieb Kurski dann als Fernsehchef von 2020 bis 2022 treu. In den Nachrichtensendungen des TVP wurde immer wieder behauptet: Tusk verkaufe Polen an die Deutschen; die Deutschen wollten Europa beherrschen und Polen zerstören; die EU sei ein Instrumentarium in den Händen der Deutschen; der Westen sei dekadent und verteidige perverse Gruppen wie die LGPT; Brüssel wolle den Polen vorschreiben, wie sie zu leben und zu denken hätten; die polnischen Richterschaft sei eine privilegierte Kaste, die willkürlich Recht spreche und sich dem Diktat der EU beuge.   

Einerseits gefielen Parteichef Kaczyński die markigen Sprüche seines Medienstatthalters, anderseits trachtet er danach, gerade in der Vorwahlzeit das Image der Partei als beruhigenden Sicherheitsfaktor in „unruhigen Zeiten“ aufzubauen.  Schrille Töne und Attacken gegen den Spitzenkandidaten Morawecki wären da kontraproduktiv. Darüber hinaus waren dem PiS-Chef die Ambitionen Kurskis nicht ganz geheuer. Er hegte wiederholt Zweifel an der Loyalität seines Lieblingspropagandisten, denn nach den Wahlen vom 9. Oktober 2011, war Kurski seinem „Ziehvater“ in den Rücken gefallen. Damals trat die PiS ein weiteres Mal gegen ihren Erzfeind Platforma Obywatelska (PO) mit dem Spitzenkandidaten Donald Tusk an und unterlag.  Jacek Kurski und Zbigniew Ziobro machten Parteichef Jarosław Kaczyński für die Schlappe höchstpersönlich verantwortlich, weshalb die beiden aus der PiS flogen und eine rechte Konkurrenzpartei, die Solidarna Polska, gründeten. Als dann die neue Partei nicht so richtig in die Gänge kam, entschloss sich Kurski zum dritten Mal für einen Canossagang und fand Gnade bei Kaczyński . Er wurde schließlich mit dem Fernsehthron belohnt.

Mit der Karriere des TV-Impresario ist es aber seit dem 5. September (vorerst) vorbei, die Spuren „politischer Korruption“ bleiben jedoch zurück. Rafał Kalukin fasst im Nachruf des Wochenmagazins „Polityka“ zusammen: „Kurski schraubte das Niveau der Gemeinheit, der Lüge und Verachtung in die Höhe. Keiner seiner Vorgänger, nicht einmal jene aus…der Volksrepublik Polen, konnten darin mit ihm gleichziehen. Es ist anzunehmen, dass auch keiner seiner Nachfolger dieses Niveau des Sittenverfalls und der Verrohung erreichen werde.“ (Polityka, Nr.38, 14.09.-20.09.2022). (RB/IIM)

1) Der neue Kanal durchschneidet die (ehem. preußische) Frische Nehrung und schafft eine direkte Anbindung des Frischen Haffs an die Ostsee, ohne dass (wie bisher) russisches Hoheitsgebiet durchquert werden muss. Das Prestigeprojekt ist umstritten, weil es für größere Frachtschiffe ungeeignet ist und die geplanten Baukosten erheblich überschritten wurden.