Keine nationalen Alleingängen in der Medienpolitik

München, 24. Oktober 2025 – Die Teilnehmer:innen des Europatags der MEDIENTAGE MÜNCHEN haben übereinstimmend eine gemeinsame „rote Linie“ für die europäische Medienpolitik formuliert: ein klares Nein zur Re-Nationalisierung der Mediengesetzgebung und Regulierung. Eine vielfältige, demokratiestärkende und damit zukunftsfähige Medienlandschaft könne nur auf europäischer Ebene etabliert und gesichert werden, lautete das Ergebnis der Expert:innen-Runde, die auf Einladung der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR) zusammenkam.

Staatssekretärin Heike Raab, die Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa und Medien, wurde aus Mainz zugeschaltet. Sie berichtete über die Ergebnisse der derzeit dort stattfindenden Konferenz der Ministerpräsident:innen (MPK). Die MPK habe sich mit zwei Themen befasst: dem Digitale Medien-Staatsvertrag (DMStV) und dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Dabei seien insbesondere Aufgaben mit Blick auf eine demokratiestärkende Mediensouveränität formuliert worden. Ziel sei, freie, vielfältige und verlässliche Online-Medien in Europa abzusichern. Raab sagte: „Wir sehen derzeit, dass Reichweiten und Bedeutung der Online-Angebote öffentlich-rechtlicher Sender oder Plattformen wie Wikipedia zurückgehen. Die Aufgabe ist nun, wirtschaftliche Interessen und die Bedeutung dieser Angebote für gesellschaftliche Diskurse abzugleichen und wirksame Regulierungen einzuführen. Eine sehr pragmatische Lösung wäre, die Online-Angebote der bestehenden Intermediär-Regelung zu unterwerfen. Das würde mindestens das Transparenzgebot stärken.“

Die bundesdeutschen Ministerpräsident:innen wollen bis Frühsommer 2026 entsprechende gesetzliche Regelungen verabschieden. Im Hinblick auf die im kommenden Jahr anstehenden fünf Landtagswahlen müssten bis dahin, so schilderte Raab, die Fragen der Auffindbarkeit von Inhalten im Internet, die Freiheit der journalistischen Arbeit und eine wirksame Medienaufsicht geklärt sein. Im Anschluss an das Statement der Staatssekretärin berichteten Inhalteanbieter, Interessenverbände und Regulierer über ihre Befürchtungen, Erwartungen und Hoffnungen angesichts der voranschreitenden EU-Regulierung.

Daniela Beaujean, Managing Director beim Verband VAUNET, freute sich, dass die Bundesländer mit den jetzt getroffenen Vereinbarungen zu thematischen Vorreitern gegenüber dem Bund geworden seien. Zurückhaltend äußerte sie sich beim Thema Anpassung der AVMD-Richtlinie (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste). Sie befürchte, dass damit erneut in die Fragen von Refinanzierung, Werbefreiheit oder der Quotierung für europäische Inhalte eingegriffen werde. Stattdessen plädierte sie für eine Harmonisierung der EU-Regularien, was insbesondere Auffindbarkeit von Inhalten und den „Free Flow of Content“ – also die freie und ungehinderte Bewegung oder Verbreitung von Inhalten – umfassen soll. Hierfür sei der geplante „Digital Omnibus“ der Europäischen Kommission sehr geeignet. Dabei handelt es sich um ein Paket der Europäischen Kommission zur Vereinfachung digitaler Vorschriften in der EU, um Bürokratie abzubauen und die Innovationsfähigkeit zu fördern. Mit diesem Programm könnten bürokratische Berichtspflichten für Unternehmen reduziert und das digitale Rahmenwerk angeglichen werden.

Peter Matzneller, Manager Global Affairs bei Netflix, formulierte die Sorge, dass die verschiedenen Rechtsakte innerhalb der EU zunehmend unter nationaler Perspektive diskutiert würden. „Derzeit bestimmen die Juristen die EU-Regulierungen. Dabei sollte es um Inhalte gehen. Außerdem sehe ich eine weitere Fragmentierung des Marktes, die dem europäischen Gedanken schadet.“ Matzneller plädierte dafür, die AVMD-Richtlinie unangetastet zu lassen. Darüber hinaus schlug er vor, die Automatismen, die sich innerhalb der EU-Gesetzgebung entwickelt hätten und die – routinemäßig – bestehende Gesetze ohne Not anpassen würden, auszusetzen. „Ich wünsche mir jetzt eine konsequente Durchsetzung der bestehenden Regularien und einen kritischen Blick auf die Nationalstaaten, die diese Regularien umgehen wollen“, sagte der Netflix-Manager.

Dr. Moritz Holzgraefe, Senior Manager Governmental Affairs von YouTube, zeigte sich mit Blick auf den geplanten Digital Omnibus zuversichtlich: „Bislang gibt es zu viele Behörden und zu viele Regelwerke, die in Summe schädlich für den europäischen Binnenmarkt sind.“ Grundsätzlich könne er der AVMD-Richtlinie folgen, weil damit der Binnenmarkt gestärkt werde.

Schließlich dämpfte Dr. Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NordrheinWestfalen (LfM) und Europabeauftragter der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, den Optimismus, der zuvor in den Redebeiträgen der anderen Diskussionsteilnehmer:innen sichtbar geworden war. Er befürchte, dass die europäische Medienbranche auf eine Krise zusteuere. Als Beleg führte er an, dass die Frage nach Verfolgung von Hassrede und Falschinformationen im Internet nach wie vor ungelöst sei. Nationale Interessen würden zunehmend mehr Gewicht in der europäischen Gesetzgebung bekommen und schließlich sei die mangelnde Durchsetzbarkeit von Sanktionen bei Verstößen gegen die EU-Vorgaben ein zentrales Problem. „Wir müssen Verstöße gegen die medienrechtlichen Regularien unabhängig von den Kanälen betrachten und Verantwortliche bei Verstößen benennen. Wir haben in der EU massive Vollzugsdefizite. Wenn wir in absehbarer Zeit dazu keine Lösungen vorlegen, sehe ich die Demokratie im Netz in Gefahr“, warnte Schmid. Einigkeit herrschte bei den Expert:innen in folgendem Punkt: Die komplexen Erwartungen an eine EU-Regulierung könnten nur durch intensive Gespräche aller Beteiligten berücksichtigt werden. Nationale Alleingänge hingegen würden das System gänzlich in Frage stellen. (PD MTM/IIM)